Jörg Pfennig

Das wesentliche aller Lehren ist, dass man lernt seinen Geist zu beherrschen.

BILDSTO:RUNG exposé

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Im Schaffen des Künstlers, der sich eher als „visual artist“ denn als sortenreiner Fotograf versteht, stellt das Werk „BILDSTO:RUNG“ einen wichtigen Schritt dar. Entstanden ist es im August 2007 und möglich geworden durch einen plötzlich auftretenden und in seinen Auswirkungen nicht vorhersagbaren Defekt der als visuelles Notizbuch genutzten Kompakt-DSC. Bei den Ergebnissen handelt es sich also nicht um das Ergebnis eines intendierten Bildverarbeitungsprozesses, sondern um das (scheinbar) zufällige Ergebnis einer gestörten Kette der Informationsverarbeitung – irgendwo zwischen dem „Objektiv“ der Kamera und der Aufzeichnung auf dem Speicherchip. Insofern erscheint die Kamera plötzlich nicht mehr als ein „Objektiv“-es, sondern als ein „Subjekt“-tives Glied im künstlerischen Prozess – sie hat „ihren eigenen (Quer-)Kopf. (Ein Mosaikstein der u. a. thematisierten „Illusionen.“)

Intendiert bleibt der Prozess des Festlegens der Realitätsaus-/anschnitte mit der Kamera bezüglich vieler Parameter – das (un-)bewusste Kristallisieren des entscheidenden Augenblicks, der die Kamera zu einer Verlängerung des Zeigefingers und eben nicht des Auges werden lässt: „DA.DA.DA.“ Der als Fingerzeig verstandene Appell: „Sieh nur, DA DRAUßEN.“ wäre zu kurz gegriffen. Der Verweis auf das Konstruieren und auf das Innenleben selbst wird zum Thema, führt damit zurück auf den Künstler und zielt auf den Betrachter. Das Kunstwerk ist in diesem Selbstverständnis auch als kommunikativer Akt zu begreifen: „Aus dem Kopf und der Intuition eine Botschaft formulieren, welche der Schauende für sich dekodiert.“ (Kommunikationsmodelle von Schulz von Thun [Miteinander reden] und Tor Nørretranders [Spüre die Welt])

Nicht die intendierte Verfremdung und Bearbeitung der Abbildung von Realität, sondern die erlebbare Konstruktion unserer Wirklichkeit im Kopf aus Sinnes-„Daten“ und die folgende Materialisierung der Ich-Struktur im Bild sind Thema. Die Störung/Täu­schung/Il­lu­sion erweist sich eben nicht als „fehlerhafte Ausnahme“ in der Aneignung der Realität, sondern als Beleg für den immanenten Vorgang der Konstruktion. Es entsteht der seltsam beunruhigende und paradoxe Umstand, dass dieses Konstruieren unseres Erlebens von Realität, der einzig erfahrbare Bereich der Realität überhaupt ist. Das ist absolut und nicht relativ zu verstehen. Etwas, dem ein im mystischen Weg Erfahrener wahrscheinlich ein mildes Lächeln schenken würde J

(Die Annahme einer zumindest teilweise außersinnlichen Grundlage für die Konstruktion der Wirklichkeit wird ausdrücklich nicht bemüht.)

Die Versprechung des „realistischen“ Ab-Bildes, ein valider Abdruck des Existierenden zu sein, ist besonders verführerisch. Das „schöne“ Ab-Bild ist insofern eine Falle für das Erkennen – damit der „Illusion“ vielleicht näher als die „BILDSTO:RUNG.“ Die Bilder in diesem Zyklus erheben den provokanten Anspruch, ebenso „echt“ zu sein, wie das gute Ab-Bild. (Sinnes–)Verführung und (Selbst–)Täuschung werden u. a. deutlicher in dem Subzyklus „CURTAIN I.“ (trashiges Plastikfoliendekor, statt der erwarteten frischen Äpfel)

Die Konstruktion der Wirklichkeit dieser Ab-Bilder entspricht nicht mehr dem Kanon des Bekannten. Sie will von jedem Betrachter neu konsolidiert werden – und setzt insofern „Kopfarbeit“ in der Aneignung voraus – ein roter Faden im Werk des Künstlers.

Einen direkt wahrnehmbaren Kontrast im vorliegenden Werk bilden die Darstellung eines zumeist kindlichen Kontextes einerseits und das sichtbare Werk der Zerstörung durch eine defekte EBV andererseits. Hier treffen das A und das O zusammen. Tuffiges Rosa und satte Farben („TOY,“ „GAME“) treffen auf den technischen Jordan. Ironischerweise sind die „zuckrigen“ Farbverschiebungen Ergebnisse des Zerstörungsprozesses selbst. Die sterbende Elektronik frisst in dem „schönen“ Ab-Bild „AIR“ ausgerechnet die Gondel mit den Passagieren des Ballons weg – „MATRIX“ und „TERMINATOR“ senden einen unfreiwilligen Gruß. Insofern gerät eines der puderigsten Bilder zum vielleicht makabersten des ganzen Zyklus und stellt eine hübsche Fallgrube für unsere sinnliche Wahrnehmung dar ;)

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